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Bundesregierung Handlanger der Industrie

Versäumnisse beim Schutz vor hormonell wirksamen Stoffen

03.02.2016 |


FRANKFURTER RUNDSCHAU 29. JANUAR 2016
„Handlanger der Industrie“
Von STEFAN SAUER
 
Umweltorganisationen und Grüne werfen der Bundesregierung vor, ein EU-weites Verbot stark gesundheitsgefährdender Substanzen zu behindern.
Es handelt sich dabei um sogenannte endokrine Disruptoren, die hormonell wirksam sind und im Verdacht stehen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sexuelle Funktionsstörungen, Fettleibigkeit und Krebsleiden auszulösen. Bereits vor vier Jahren stuften die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP die Stoffe als „globale Bedrohung“ ein. Die EU erließ 2009 und 2012 zwei Verordnungen, mit denen die Substanzen als Bestandteil von Schädlingsbekämpfungsmitteln und Bioziden verboten werden sollte. Umgesetzt sind diese Regelwerke aber bis heute nicht.
An der Verzögerung habe die Regierung maßgeblichen Anteil, kritisiert Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag: „Die Bundesregierung spielt das Problem herunter und ist offenbar nicht gewillt, den Schutz von Menschen und Umwelt vor hormonell wirksamen Stoffen zu verbessern.“ Berlin mache sich zum „Handlanger der Chemieindustrie“.
Der Vorwurf wiegt schwer. Denn die besagten Substanzen finden sich in zahlreichen Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Sie sind in vielen Fassadenfarben und Spielzeugen ebenso enthalten, wie in Konservendosen, Kosmetika und Möbeln. Und eben auch in Pestiziden, die über den Wind weit verbreitet werden können, sowie in Bioziden, die zum Beispiel gegen Schimmelbefall eingesetzt werden.
Die von den hormonell wirksamen Stoffen verursachten Folgekosten veranschlagte die Gesundheitsorganisation Heal nur für Deutschland auf 100 Milliarden Euro pro Jahr. Die Zahl mag übertrieben sein. Im Grundsatz aber bestehen an den gesundheitsschädlichen – und damit kostspieligen – Wirkungen der Substanzen kaum mehr Zweifel.


Assessment-Verfahren nicht abgeschlossen


Vor diesem Hintergrund entschloss sich die EU, ein Verbot der Substanzen in Bio- und Pestiziden auf den Weg zu bringen. Bis Ende 2013 sollten Kriterien entwickelt werden, mit denen hormonell wirksame Inhaltsstoffe erkannt, bewertet und gegebenenfalls verboten werden können. Doch dann geschah – nichts. Anstatt die Kriterien-Liste vorzulegen, entschloss sich die EU-Kommission zu einem „Impact Assessment“, einer neuerlichen Wirkungsanalyse, zu der auch Studien aus der Industrie herangezogen wurden. Das Assessment-Verfahren ist bis heute nicht abgeschlossen.
Manche EU-Mitgliedsstaaten waren unterdessen nicht gewillt, derartige Verzögerungen hinzunehmen. Schweden verklagte sogar die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof: Brüssel verletze die selbst beschlossenen Verordnungen ohne ersichtlichen Grund. Unterstützt wurde die Klage vom Rat der Umweltminister und dem EU-Parlament. Auch Dänemark, Frankreich und die Niederlande schlossen sich an, nicht aber die Bundesrepublik. Im Dezember 2015 erhielten die Kläger Recht: Der EuGH forderte Brüssel mit Nachdruck auf, die beschlossenen Verordnungen nun endlich umzusetzen.
Das sah die Bundestagsfraktion der Grünen genauso und wollte von der Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage wissen, welche Aktivitäten Berlin bezüglich des überfälligen Kriterienkatalogs zum Verbot der schädlichen Substanzen zu entfalten gedenke. Die Antwort enttäuscht nach Ansicht der Grünen sowie der Umweltverbände BUND, PAN und WECF auf ganzer Linie. „Berlin verweist auf das laufende Assessmentverfahren der EU und verschanzt sich damit hinter eben jener Haltung der EU-Kommission, die vom EuGH soeben als illegitim gebrandmarkt wurde“, sagt Susanne Smolka vom Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN. Mit ihrer Antwort zeige die Bundesregierung, dass sie im Zweifelsfall wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor gesundheits- und umweltpolitischen Belangen gebe, heißt es beim BUND.


Grüne machen Druck


Dass Schutzmaßnahmen durchaus auch im Alleingang umsetzbar sind, machte Frankreich vor gut einem Jahr deutlich. Seit 1. Januar 2015 ist im Nachbarland die Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen verboten. Die Substanz ähnelt in der Wirkung dem weiblichen Hormon Östrogen, wurde in mehreren Studien im menschlichen Urin nachgewiesen und beeinträchtig erwiesenermaßen die männliche Zeugungsfähigkeit.
Nicole Maisch fordert vor diesem Hintergrund auch für Deutschland „ein Verbot von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien“. Eine solche Forderung hatte auch die Verbraucherministerkonferenz der Länder im Mai 2015 formuliert.
Von den Grünen zu ihrer Haltung befragt, antwortete die Bundesregierung wie folgt: „Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat sich Anfang Juni 2015 schriftlich an die EU-Kommission gewandt und um eine zeitnahe Anpassung des spezifischen Migrationsgrenzwertes für Bisphenol A in der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, gebeten.“
Na dann sind wir ja beruhigt.



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